Galeriebrief 3/2003

3. Oktober bis 15. November 2003

ANTONIO CALDERARA (1903-1978), Zum 100. Geburtstag
Die vielen Erinnerungen, die sich mit dem klugen, witzigen und temperamentvollen Maestro verbinden, bleiben unvergesslich. 1969 die erste Visite im Wohnatelier in Mailand, anlässlich der Vorbereitungen der ersten Ausstellung in der Galerie. (Weitere Ausstellungen folgten, zu Lebzeiten Calderaras sowie postum.). Später die vielen Besuche im Dorf Ameno di Vacciago, oberhalb des Orta-Sees. Ein schöner, grosszügiger Wohnsitz im Dorfkern, von aussen jeder Sicht verschlossen, innen mit Cortile und Loggien auf drei Stockwerken. Von diesem altehrwürdigen Palazzo aus, in dem er noch in seinen letzten Lebensjahren das Museo Calderara einrichtete, pflegte der Maler seine europaweiten Kontakte zu den vielen persönlichen Freunden und zu den Freunden seiner Kunst. Zusammen mit seiner Frau Carmela und Anna-Maria Azzoni, der Freundin, die sich um alle jene Umtriebe kümmerte, die der Kunstbetrieb an den Maestro herantrug.

Antonio Calderara war (ironischerweise fast ausschliesslich ausserhalb der italienischen Heimat) ein geachteter Künstler, mit Einzelausstellungen und Gruppenausstellungen in Galerien und Museen Europas und Amerikas (1969 Kunstmuseum Luzern, 1971 Kunsthaus Aarau, 1973 Kunstmuseum Düsseldorf, 1977 Bottrop, Josef Albers Museum, 1977 Stedelijk Museum Amsterdam usw.). An der Documenta 4 1968 war er mit zwölf Bildern vertreten.

1923 fand seine erste Einzelausstellung mit gegenständlichen Bildern statt. Bis 1959 blieb seine Malerei einer mediteranen Tradition verpflichtet. In den zwanziger und dreissiger Jahren entstanden auch einige grossformatige Werke, zumeist streng komponierte Figurenbilder mit moderaten Anleihen an eine zeitgenössische Moderne. Dann folgten wunderbar feine und sehr persönliche kleinformatige Tafeln von delikater farblicher und malerischer Qualität: Stillleben, Blumenbilder, Landschaften, figürliche Kompositionen und Porträts. Calderara blieb fortan ein Meister des kleinen Formates, weshalb unsere Ausstellung sich einige Querverbindungen zu anderen Künstlern erlaubt, die in diesem Bereich wesentliche Leistungen erbracht haben. Seine Bildtafeln erinnern an die Täfelchen der frühen italienischen Malerei und zeit seines Lebens werden kleine Holz-, später Kunststofftafeln die bevorzugten Bildträger bleiben.

In der Kunstmetropole Mailand trat Calderara in freundschaftliche Beziehung zu Künstlern, welche Tradition und Modernität in einer radikalen Weise zu verbinden vermochten und auch einem destruktiven Bildersturm nicht abgeneigt waren, vor allen Lucio Fontana und Piero Manzoni. In seiner eigenen Malerei, welche sich immer ausschliesslicher mit der Landschaft des Orta-Sees befasste, formulierte sich Schritt für Schritt eine Geometrie aus der Anschauung, verstanden als eine Ordnung der Dinge, die gleichsam eine mentale Ordnung parallelisiert.

1959 erfolgt der Wechsel zur Ungegenständlichkeit, welcher von seiner Umgebung, seiner Sammlergemeinde als ein Wechsel ins feindliche Lager verstanden wurde. Es darf ja nicht vergessen werden, dass die Kunstgeschichte des letzten Jahrhunderts tief geprägt ist von dieser Auseinandersetzung. Calderara macht nunmehr diese Geschichte zu seiner eigenen Erzählung, und er formulierte sie nicht als ein Bruch, sondern als ein Weg. Jedes seiner Werke ist innerhalb dieser supponierten Entwicklungsgeschichte ein unersetzlicher Baustein des Gesamtwerkes. Auch die ungegenständlichen Arbeiten bleiben realitätsgesättigt. Die Bildtafeln sind ein in sich selbst regulierter Kosmos: Farbe als Licht, Abschattung, Transparenz, Form als Ordnung der Grössenverhältnisse und der Volumen gemäss der menschlichen Perzeption.

«La morte, fine e principio, dà significato al principio.» «Der Tod, Ende und Anfang gibt dem Anfang seine Bedeutung.» (Antonio Calderara: Pagine, 1973)