Samuel Beckett nennt den Kommentar zur Kunst ein Beruhigungsmittel (S.B. Das Gleiche nochmals anders. Texte zur Bildenden Kunst 2000). Richard Tuttle schätzt das Kunstgespräch. Er spricht gern in seinen Ausstellungen vor den Werken. Seine Kommentare entkräften und bestätigen die kluge Bemerkung von Beckett, indem sie paradoxe Umwege einschlagen und mit ihrer Differenziertheit und Ausführlichkeit beunruhigen und irritieren. Wege und Umwege, wenn Tuttle schafft und wenn er spricht ist er immer unterwegs. Wichtig ist, dass diese Gratwanderungen auf unbekanntes Territorium führen. Wer sich darauf einlässt tut dies auf eigenes Risiko, denn Sicherheiten werden keine gewährt.
Die Sprache, gesprochen, geschrieben, hat üblicherweise die fatale Tendenz, Bedeutung vorwegzunehmen, Verstehen vorzutäuschen, sich vor die Werke zu schieben. Die gut gemeinte Botschaft oder die symbolische Ersatzhandlung werden mehr und mehr als Ursprung und genügende Legitimation künstlerischen Ausdruckswillens geortet. Solche Gesten begleiten oder antizipieren angeblich das globale Weltgeschehen. Dieser plausible Reduktionismus, der es erlaubt, aus lauter Fussnoten ganze Entwicklungsstränge zu extrahieren, entfernt das Artefakt als das eigentlich Vorhandene aus dem Fokus der Aufmerksamkeit.
Richard Tuttle ist der Antipode einer solchen Kunstauffassung und Geschichtsstrategie. Ausgerechnet mit seinen feinen, verletzbaren Arbeiten schafft er Tatsachen einer anderen Art. Ihre merkwürdige Genauigkeit verdanken die Werke einem Tun, das jeden Vorgang reflektiert und registriert. Metaphorisch lassen sie sich nicht entziffern und sie verbleiben gleichsam in einem Zustand der Andeutung, verweisen auf ihre Transzendenz. Die seltsamen Dinge oder Notate beanspruchen nichtsdestoweniger volle Aufmerksamkeit. Das genaue Sehen, die genaue Beobachtung all dessen, was hier auf kleinem Raum vorhanden ist, sind die Voraussetzung für eine angemessene Rezeption dieser Kunst.
Jede neue Werkgruppe von Richard Tuttle löst sich langsam aus einer ersten Phase ohne jede Kunstwahrscheinlichkeit. Ist es eine Gewissheit, dass Kunst immer wieder dort beginnen muss, wo (noch) nicht Kunst ist? Jedenfalls ist es für den Künstler harte Arbeit, ein erstes materielles Konstrukt an ein nur ihm eigenes Feld der Zeichen zu binden. Oder, genauer gesagt, Material, Form und Zeichen bilden letztlich im Werk eine Einheit, jeder Aspekt verdankt seine Gestalt den anderen Aspekten.
Drawing – Zeichnung, zeichnen, Richard Tuttle meint, dass sich diesem Begriff, dieser Tätigkeit sein ganzes Schaffen unterordnen lässt. ‚Drawing‘ darf nur nicht als Konvention oder angelernte Fähigkeit verstanden werden. So macht es Sinn, dass unsere Ausstellung Zeichnungen und Arbeiten auf Papier aus über vierzig Jahren vorstellt und die überragende Bedeutung des Zeichners Richard Tuttle belegt.
Im Mai 1974 fand die erste Ausstellung von Richard Tuttle bei Annemarie und Gianfranco Verna statt. Mit dieser Zeichnungs-Retrospektive sind es siebzehn Einzelpräsentationen des Künstlers geworden. Viele Publikationen zum Werk und eine Anzahl von Artist’s Books haben die Zusammenarbeit begleitet.
Spätestens seit der grossen Retrospektive, die von Madeleine Grynsztejn für das San Francisco Museum of Modern Art, 2005, erarbeitet wurde und die bis 2007 von bedeutenden amerikanischen Museen in New York, Des Moines, Dallas, Chicago gezeigt wurde, stehen Einfluss und Rang von Richard Tuttle fest. Doch lässt sich das Phänomen Richard Tuttle nie definitiv eingrenzen. Dies beweisen die neuen Werke in unserer Ausstellung.
Installation view Raum 4
Installation view (Büroraum)
von links nach rechts:
Checkerboard Series (4)
1968
Beginning of Spiraling
1974
Grey Bar
1974
Confirmation Series (2)
1976
Installation view Raum 1
Installation view Raum 1
Installation view Raum 2
Installation view Raum 2
Installation view Raum 2
von links nach rechts:
PT Drawing No. 31
1974
How Paint Meets Line
1971
How Paint Meets Line Group (3)
1974
Untitled
1975
Installation view Raum 2
von links nach rechts:
Intersecting Lines
1974
Study for Sculpture (2)
1974
Installation view Raum 2
von links nach rechts:
Untitled #3
1973
Untitled #1
1973
Untitled #2
1973
Center Point Work (5)
1975
Installation view Raum 3
Installation view Raum 3
Installation view Raum 3
von links nach rechts:
Untitled
1979
Drawing with Three Ends
1974
Ahingus
1974
Installation view Raum 3
von links nach rechts:
Drawing with Three Ends
1974
Ahingus
1974
Study for «Acropolis»
1974
Installation view Raum 3
von links nach rechts:
Study for Sculpture (2)
1974
Stacked Color Series (1)
1969
Stacked Color Series (6)
1970
Installation view Raum 3
von links nach rechts:
Stacked Color Series (1)
1969
Stacked Color Series (6)
1970
Installation view Raum 3
von links nach rechts:
Rendering for Six of Thirteen Spiral Drawings
1973
Red Spiral Drawing
1973
Green Spiral Drawing
1973
Installation view Raum 3
von links nach rechts:
Blue Spiral Drawing
1973
Orange Spiral Drawing
1973
Black Spiral Drawing
1973
Installation view Raum 4
Installation view Raum 4
Installation view Raum 4
Installation view (Durchsicht Raum 4 zu Raum 1)
Installation view Raum 4
von links nach rechts:
Belmore
1971
Belmore
1971
Installation view Raum 4
von links nach rechts:
How Paint Meets Line
Group (5)
1974
Untitled
1970
Composition on White Paper
1969
Installation view Raum 4
von links nach rechts:
Untitled
(10th of 10 Summer, 1973)
1973
Untitled
(2nd of 10 Summer, 1973)
1973
Installation view Raum 4
von links nach rechts:
Untitled
1974
Yellow Verticals
1969
Installation view Raum 4
von links nach rechts:
Double Maximum
1969
Belmore
1971
Untitled
1973
Confirmation Series (10)
1976
25.4 x 20.2 cm
pencil and gouache /
brown on paper
Checkerboard Series (4)
1968
22.9 x 14.5 cm
yellow and purple watercolor on paper
Beginning of Spiraling
1974
35.6 x 28 cm
pencil and grey ink on paper
Grey Bar
1974
35.6 x 28 cm
pencil and watercolor on paper
Confirmation Series (2)
1976
25.4 x 20.2 cm
pencil and gouache /green on paper
Line
1976
25.3 x 20.3 cm
pencil on paper
Florida Works (20)
1975
43.2 x 35.5 cm
pencil and watercolor/yellow on paper
von links nach rechts:
Indianapolis, 5
Indianapolis, 6
Indianapolis, 7
Indianapolis, 8
Indianapolis, 13
Indianapolis, 14
all 1994
25.4 x 16.8 x 1.9 cm
Indianapolis, 5
1994
26 x 16.8 x 1.9 cm
archival paper, colored pencil, gouache, notebook paper, pencil, watercolor paper and artist’s frame with gold hardware
Indianapolis, 6
1994
26 x 16.8 x 1.9 cm
archival paper, colored pencil, gouache, notebook paper, pencil, watercolor paper and artist’s frame with gold hardware
Indianapolis, 7
1994
25.7 x 16.8 x 1.9 cm
archival paper, colored pencil, gouache, notebook paper, pencil, watercolor paper and artist’s frame with gold hardware
Indianapolis, 8
1994
25.4 x 16.8 x 1.9 cm
archival paper, colored pencil, gouache, notebook paper, pencil, watercolor paper and artist’s frame with gold hardware
Indianapolis, 13
1994
25.4 x 16.8 x 1.9 cm
archival paper, colored pencil, gouache, notebook paper, pencil, watercolor paper and artist’s frame with gold hardware
Indianapolis, 14
1994
25.4 x 16.8 x 1.9 cm
archival paper, colored pencil, gouache, notebook paper, pencil, watercolor paper and artist’s frame with gold hardware
Rest on the Flight to Egypt
2009
29.5 x 82.5 cm
watercolor, acrylic, graphite and goldleaf on paper on cardboard
(in artists frame)
Untitled
1979
74.9 x 56.5 cm
pencil and watercolor on paper
collage
Belmore
1971
27.9 x 21.8 cm
pencil on paper
Belmore
1971
27.9 x 21.8 cm
pencil on paper
Untitled
1970
30.7 x 25.4 cm
english watercolor
Richard Tuttle
50 Years of Collaboration
25. September bis 30. November 2024
Glen Rubsamen
The Petrified Forest
Herausgeber: Glen Rubsamen
INSIGHT #3 beleuchtet das zeichnerische Werk von Fred Sandback anhand von drei Beispielen aus den Jahren 1974 und 1982.
Rita McBride, Momentum,
Dia Beacon, Beacon, NY
1. Juli 2023 bis Januar 2025
Ree Morton with Natalie Häusler,
To Each Concrete Man, Kunstmuseum Bochum
11. Oktober 2024 bis 23. Februar 2025
Sol LeWitt (1928–2007)
A Wall Drawing Retrospective
Yale University Art Gallery and Williams College Museum of Art
16. November 2008 – 2033