Galeriebrief 1/2002

24. Januar bis 16. März 2002

MANFRED PERNICE, Jeep
Manfred Pernice, Jahrgang 1963, baute 1999 erstmals ein wichtiges Werk in der Schweiz. «Europa» setzte einen unübersehbaren künstlerischen Schwerpunkt innerhalb der Ausstellung «Two Doors – True Value», einem gemeinsamen Unternehmen der Galerien Mai 36 und Annemarie Verna. Später präsentierte die Kunsthalle Zürich eine Werkübersicht (August bis Oktober 2000).

Nun realisiert Manfred Pernice zwei neue Ausstellungsprojekte für Zürich: «Casino» bei der Mai 36 Galerie offeriert eine Vielzahl von Arbeiten, 'Jeep' bei der Annemarie Verna Galerie bespielt die Räumlichkeiten mit einer thematisch integrierten Installation.
Seit Mitte der neunziger Jahre nimmt die Kunstszene Manfred Pernice zur Kenntnis. Sein Werk, das durchaus sperrige Aspekte aufweist, gilt als eine der bemerkenswertesten Entdeckungen der aktuellen Szene. «Haupt- bzw. Zentraldose», der hochaufragende Spanplattenturm an der ersten Berlin Biennale 1998, verschaffte dem Künstler internationale Reputation.

An der letztjährigen Biennale in Venedig entzog sich seine grosse Arbeit dem unaufmerksamen Besucherstrom. Platzierung und Materialien führten zu einer kalkulierten Übersehbarkeit. Eine gewisse Beiläufigkeit kommt in seinen überaus bewusst gesetzten Installationen immer wieder zur Anwendung. Erst die dem Werk gewidmete Zuwendung verwickelt den Betrachter in eine aktive Rezeption und bringt das breite Assoziationsvolumen ins Spiel. Werke und Werkkomplexe werden nicht einfach als Mittelpunkt einer Ausstellungssituation exponiert und arrangiert. Die strikte Scheidung von Betrachter und Werk wird zugunsten einer multiplen gegenseitigen Inanspruchnahme aufgegeben.

Manfred Pernice verwendet für den Bau seiner Skulpturen einfache Alltagsmaterialien – Pressspanplatten, Holzlatten usw. Die «Skelettbauweise» gemahnt an jene Systeme, die in Modellbaukästen vorgefunden werden. Sie erlaubt es, Rundformen und Bogen zu konstruieren. In vielfältiger Weise kann so Volumen suggeriert werden. Der Form, der Aussenansicht wird unmissverständlich Priorität zugestanden. Dies obschon die Dosen, Container, Baracken durchaus einen Innenraum aufweisen, der oftmals auch eingesehen oder betreten werden kann. Benutzungsangebote finden sich aber vorzugsweise auf der Ansichtsfläche. Auf dieser sind manchmal Fotos, Texte, Bildschirme für Projektionen oder Monitore für Videos angebracht oder eingelassen. Es handelt sich um Kommentare und Verweise, die sich nicht aus der Gesamtsituation heraus aufschlüsseln lassen, sondern einen solipsistischen Zirkel zu bilden scheinen.

Die Konstruktionen von Manfred Pernice wirken provisorisch und unabgeschlossen, obschon exakte Planung einzelner Aspekte und eine weitgehend durchgehaltene Ausführungsdisziplin lesbar ist. Doch ist eine stete Überforderung des Autors und Machers mit im Spiel. Die Arbeit am Werk setzt eine Reflexion in Gang, welche dazu führt, dass ein geplantes Ganzes ausser Sichtweite gerät.

Zusätzlich werden die Arbeiten durch Abbau und Wiederaufbau an verschiedenen Ausstellungsorten transformiert. Dem Werktitel kommt dabei die Aufgabe zu, Intention und Identität zu bewahren. Begriffspaare charakterisieren die Annäherungen an die Arbeiten: Aussenansicht / Innenansicht, Offenheit / Verschlossenheit, Peripherie / Zentrum. Die problematische Beziehung von Innenperspektive und Aussenperspektive, von Subjektivität und Objektivität vermittelt sich durch das Werk.

Manfred Pernice wird von den Galerien Mai 36 und Annemarie Verna gemeinsam vertreten.

Hinweis

Richard Tuttle, in Parts, 1998 – 2001
8. Dezember 2001 bis 10. Februar 2002. Institute of Contemporary Art, Philadelphia. Katalog mit Texten von Charles Bernstein und Ingrid Schaffner.