Galeriebrief 1/2015

7. Februar bis 2. April 2015

Fred Sandback und Annemarie Verna Galerie
Eine Zusammenarbeit 1971 bis 2003

Fred Sandback lebte von 1943 bis 2003. Eine erste Ausstellung von drei wichtigen Skulpturen des Künstlers fand 1971 in unserem damaligen Galerieraum an der Oberen Zäune statt.

1972 besuchten wir Fred in New York. Er lebte und arbeitete in einem einfachen Loft an der Crosby Street in SoHo. Diese «Neighborhood» galt als gefährlich und heruntergekommen, als Industrieslum. Trotzdem zogen zum Ende der sechziger Jahre viele Künstler nach SoHo. Da in den Jahren zuvor in dieser Gegend von Manhattan viele Betriebe der heimischen Kleinindustrie hatten schliessen müssen, standen zahlreiche der fünf- bis sechsgeschossigen Gebäude leer. Künstler formten Kooperativen, um diese gemeinsam zu erwerben und sie als Stockwerkeigentum unter sich aufzuteilen. So wurde der Besitz einer Etage erschwinglich. Mit möglichst geringem Aufwand wurden die einstmaligen Fabrikationsräumlichkeiten in Studios umgewandelt und öfters auch bewohnt, was bis 1973 illegal war. Zumeist genügte zunächst ein Anstrich mit weisser Wandfarbe und wenige Eingriffe. Wichtig war den Künstlern, in diesen Lofts über viel Raum verfügen zu können.

1968 eröffnete Paula Cooper ihre Galerie in SoHo und nach 1970 entstand eine wichtige und überblickbare Galerienszene. Die grosszügigen Räumlichkeiten der Galerien, die sich vorab am Westbroadway und in einigen benachbarten Strassen etablierten, mutierten zum famosen «White  Cube».

Auslöser dafür, dass hier eine dichte und weltweit einzigartige Kunstszene entstehen und sich entfalten konnte waren ökonomische Vorbedingungen und aussergewöhnliche Umstände und Möglichkeiten, insbesondere was die Beschaffung und Nutzung von viel Arbeits- und Lebensraum betraf.

Dass der reale Raum oft zum Arbeitsmaterial der neuen Kunst wurde und der Bezug der Artefakte zum Ausstellungsraum zu einem Leitgedanken avancierte, ist eigentlich einleuchtend und naheliegend. Die Verfügbarkeit von viel Raum erzeugte gleichsam eine neue Definition des Kunstobjekts und eine neue Ausstellungsästhetik. Dies war weit mehr, als eine neue Form von Kunstproduktion und Präsentation. ‚Space’ erhielt eine fast magische Konnotation und besonders wichtig wurde die Korrespondenz der Werke mit der Ausstellungssituation. Der Ausstellung wurde mehr und mehr Eigenwert zugestanden und die Folgen dieser Bedeutungsumschichtung sind bis heute auszumachen. Zudem war Innovation nunmehr Vorbedingung einer jeden ernsthaften künstlerischen Leistung.

Schon vor unserer Reise kannten wir die Namen und die Arbeit der wichtigen Protagonisten der Szene und von einigen dieser Künstler hatten wir schon Werke in der Galerie gezeigt. Doch die Anschauung vor Ort war anders und direkter, gesättigt mit einer unvergleichlichen und abenteuerlichen Atmosphäre. Der Stellenwert des realen Raumes erwies sich als besonders eindrücklich. Uns beschäftigte nun die Frage, was wir mit unserem eingeschränkten räumlichen Angebot und unseren bescheidenen ökonomischen Möglichkeiten für eine gültige Vermittlung dieser neuen Kunst zu leisten vermochten.

1972 war Fred Sandback noch keine dreissig Jahre alt und er war ein Künstler unserer Generation. Die Erfindung, die die Grundlage seines Werkes ausmachte, seine Arbeitsweise und seine künstlerische Haltung waren für uns paradigmatisch für die Kunst, die uns interessierte. So stellten wir uns die Ausrichtung unserer Galerie vor. Unser Besuch war der Beginn einer lebenslangen Freundschaft.

Die Übersetzung unserer New York Erfahrung in unsere Möglichkeiten war durch die künstlerische Vision von Fred in idealer und überzeugender Form gegeben. Eine Fusion von Raum und Objekt, wie sie Fred zu realisieren vermochte, thematisierte nicht die schiere Grösse, das Volumen eines Raumes, wohl aber die Eigenheiten und besonderen Charakteristiken des vorgefundenen Raumgehäuses. In feiner Balance und im Dialog mit der gegebenen Situation baute er seine Skulpturen und die realen architektonischen Gegebenheiten wurden zu einem wesentlichen skulpturalen Element der Werke.

Schon im Dezember 1972 kam Fred nach Zürich und richtete in der Galerie eine grossartige Ausstellung ein. Dass manche Galeriebesucher glaubten, der Ausstellungsraum sei leer und eine Ausstellung erst in Vorbereitung erfüllte uns mit Stolz. Dies war ein eigentliches Indiz für das perfekte Gelingen der Schau und eine Anmahnung an die Kunstfreunde, ihre Wahrnehmungsfähigkeit zu aktivieren.

Vier verschiedene Standorte der Galerie erwiesen sich in den folgenden drei Jahrzehnten als durchaus geeignete Orte für immer neue Skulpturen und die Transformation unserer Räume wurde zum Ereignis.

Für unsere Rückschau ist es uns gelungen eine Anzahl von Zeichnungen zusammenzustellen, die mit den Ausstellungen von Fred Sandback in den jeweiligen Galerieräumen zusammenhängen. Sie zeigen in feiner isometrischer Darstellung den real existierenden Galerieraum. Deutlich wird, dass das plastische Volumen des architektonischen Gehäuses die Situierung und die Auswahl der möglichen formalen Elemente der kräftig gezeichneten Skulptur bestimmt.

Es bleibt anzumerken, dass Fred für die aktuellen Ausstellungen selten vorgängig gezeichnete Skulpturen baute. Bewegte er sich in den aktuellen Räumlichkeiten, dann wurde sein Eingriff zu einer künstlerischen Leistung, die hier und jetzt aktualisiert wurde. Die architektonischen Gegebenheiten des Ortes wurden zum Ausgangspunkt aller Entscheidungen und in einem längeren, gleichsam meditativen Prozess definierte er sämtliche Elemente von Skulptur und Umraum. Sein Formenmaterial gebrauchte der Künstler dabei als eines seiner Werkzeuge. Zwei frühe Skulpturen sind Teil der jetzigen Schau.

Ausstellungen

Richard Tuttle, «I Don’t Know or the Weave of Textile Language», Tate Modern London Turbine Hall ,
14.10.2014 – 6.4.2015

Andreas Christen, «Kunst und Design», Ernst Schweizer AG Hedingen,
15. Januar – 27. Februar 2015

Richard Tuttle, Zeichnungen 1969–1989 / Werke 1965–2003,
Kunstmuseum Winterthur,
Januar – Juli 2015

16. November 2008 – 2033
Sol LeWitt
A Wall Drawing Retrospective

Yale University Art Gallery and Williams College Museum of Art