Galeriebrief 2/2005

23. April bis 25. Juni 2005

FRED SANDBACK (1943 – 2003), Zeichnungen 1968 – 2000
Eine von Plinius überlieferte Künstlerlegende, deren Protagonisten die berühmten griechischen Maler Apelles und Protogenes sind, schildert einen Wettstreit zwischen den beiden Künstlern anhand von genaugenommen insgesamt drei feinen Linien. Apelles, unangemeldeter Besucher im Haus des abwesenden Protogenes, zeichnet eine einzige Linie auf dessen Maltafel.

Zurückgekehrt erkennt dieser sofort die Hand des Konkurrenten und überbietet dessen Meisterschaft mit einer feineren Linie. Apelles gibt sich aber nicht geschlagen. In einer anderen Farbe zieht er eine dritte Linie der ganzen Länge nach zwischen die beiden Linien. Dass die Maler das so entstandene Werk als gültig und aufbewahrungswürdig erachten, ist eine besondere Pointe der Anekdote. In unserer Imagination hinterlässt die Erzählung aus dem Altertum eine abstrakte, lineare Zeichnung, die ihre mentale Existenz dem besonderen Prestige und Potenzial der Linie verdankt. Schon knappe Linienkonstellationen besitzen Zeichencharakter.

Und unsere Wahrnehmung orientiert sich an Linien, verborgenen und sichtbaren. Mit Linien wird Raum dargestellt, die Perspektive konstruiert. Ebenso eignet sich die Linie zur Abgrenzung von Flächen und Körpern.

«Mit der Linie lässt sich die Qualität oder die Klangfarbe einer Situation vermitteln, und sie hat eine Struktur, die schnell und abstrakt und mehr oder weniger vorstellbar ist, aber es ist die Tonalität oder, wenn man so will, die Ganzheit einer Situation, der ich nahe kommen möchte.» Fred Sandback hat seine Beobachtung 1986 notiert. Purismus, Eindeutigkeit, Geometrie, alles Attribute , die der Idee der Linie anhaften, werden offenbar ausgeschlagen, ausgerechnet von jenem Künstler, dessen Lebenswerk sich sozusagen mit der Linie identifizieren lässt.

Sandback möchte komplexe Erfahrungen erzeugen, die ihm selbst durch und anhand seiner Arbeit zuteil geworden sind. Von Anfang an wollte er Skulpturen machen, aber Skulpturen, die weder Volumen noch Masse aufweisen und kein Inneres umfassen. Die Linie ist ihm bei seinen frühen Versuchen zugefallen. Als reales Ding und Material, verwendbar, brauchbar, hat er sie gefunden. Zunächst in Form von Stahldraht und Gummischnur und später als Acrylgarn.

Der bedeutende, intelligente Zeichner und Grafiker hat früh erkannt, dass der Papierbogen, der Stift und der Stichel weitere bildnerische Möglichkeiten offerieren und Darstellungsformen erfordern, die einerseits mit der Arbeit im Ausstellungsraum zu tun haben, ja eng damit verbunden sind, andererseits aber in mehr deskriptiver Weise die Werkthematik exemplifizieren. Die räumliche und materielle Wirklichkeit der gebauten Skulpturen informiert gleichsam die fiktionale Darstellung bei Zeichnungen und Grafiken und steuert deren Lesbarkeit. Selten sind die Zeichnungen blosse Entwürfe oder Werkskizzen, was angesichts von Fred Sandback's genuinem Interesse an seinem zeichnerischen Oeuvre unbefriedigend gewesen wäre. Die Strichzeichnung ist zumeist im Zentrum des Papierbogens plaziert. Die Bildebenen sind gemäss der Bedeutung der Bildelemente angeordnet und gewichtet.

Oftmals ist eine feine isometrische Konstruktion eines real existierenden Raumes unterlegt. Der Betrachter befindet sich ausserhalb der Darstellung. Er sieht den Raum als plastischen Körper. In diese Raumansicht setzt der Künstler mit farbigem Stift die Skulptur. Die kräftiger gezogenen Linien manifestieren sich in klarer Zweideutigkeit sowohl als Projektion der Skulptur, wie als selbstständiges und selbstgewisses Zeichen. Der illusionistische isometrische Raumaufriss lässt so die Skulptur als Klappfigur erscheinen. Einen Schritt weiter gehen andere Blätter, auf denen die festen, farbigen Kreidestriche in erahnbarer räumlicher Beziehung zueinander stehen und daraus die Stabilität und Sicherheit ihrer Positionierung ableiten. Einen Schritt zurück tun die Zeichnungen isometrischer Raumdarstellungen, die mit der Pastellkreide frei bearbeitet sind.

Unsere Ausstellung ist als Retrospektive angelegt. Sie umfasst über vierzig Arbeiten. Zur Ausstellung erscheint eine Publikation.

Ausstellungen

Giulio Paolini - Esposizione Universale, Kunstmuseum Winterthur, 23. April bis 24. Juni 2005

Joseph Egan - Working on a Building, Gartenflügel Ziegelbrücke, 1. Mai bis 5. Juni 2005

Art 36 Basel, 15. – 20. Juni 2005, Halle 2.0, Stand S2