Antonio Calderara (1903 – 1978)
«La morte, fine e principio, dà significato al principio.»
(Der Tod, Ende und Anfang, gibt dem Anfang seine Bedeutung. Antonio Calderara: Pagine 1973)
«Lebenszeit und Weltzeit», so lautet der Titel eines Buches des eminenten philosophischen Schriftstellers Hans Blumenberg (1986). Die Spannung und Reibung, die diese Gedankenfigur erzeugt benennt einen Konflikt, der für den schöpferischen Menschen besonders gravierend ist. Auch viele der kostbaren Aufzeichnungen des Malers Antonio Calderara, 1973 veröffentlicht als kleiner Band mit dem Titel «Pagine», verdeutlichen, dass seinem Denken gemäss Leben und Kunst ihre Verbindung und ihre Tiefendimension dem Spannungsbogen von Endlichkeit und Unendlichkeit verdanken. Weltzeit wird hier durch eine metaphysische Ausdehnung bereichert, durch eine lateinische Färbung also, die an Giacomo Leopardi, Giuseppe Ungaretti und an Piero della Francesca denken lässt. Blumenberg seinerseits stellte fest, dass der Lebensanteil an der Welterfahrbarkeit schrumpft, dass die Lebenszeitnot des modernen Menschen zunimmt, dies trotz der elaborierten Technologien zur Zeiteinsparung.
Antonio Calderara hat mit seinem Lebenswerk seinen Weg aus dem Dilemma aufgezeigt. Die Bilder sind dafür das sichtbare Zeugnis. «Spazio, luce, colore luce, luce. L’uomo, il suo limite, il suo essere finito nell’infinito.» (Raum Licht, Farbe Licht, Licht. Der Mensch, seine Grenze, sein Endlich-Sein im Unendlichen.)
Weltzeit ist das Zeitmass der allgemeinen Kunstgeschichte. Eines der letzten kanonisierten Kapitel dieser Erzählung ist die Entwicklungs- und Emanzipationsgeschichte der Moderne. Die Uebergrösse der Vorgabe nötigte Calderara dazu, das ihm eigene Mass abzuschätzen und das ihm Mögliche zu leisten. «Bisogna sentirci niente per aspirare al più.» (Wir müssen uns als Nichts empfinden, um das Höchste zu erstreben.) Mit Bescheidenheit und Anmassung mutet er sich zu, eine Parallelgeschichte anzugehen, ausgerichtet nach seiner Lebenszeit. Brüche manifestieren sich nicht als Brüche. Die neue Ordnung will sich nicht aufdrängen und als endgültige Verabschiedung der Kontinuität behaupten. Die Revolutionen der Moderne sind für ihn Anstoss dazu, die ihm entsprechende Fassung zu entdecken und festzustellen, dass diese in eine Synthese des Denkens, des Wahrnehmens und des Tuns des Malers münden kann.
Ab 1924 bis 1958 entstehen feine, kleinformatige Tafeln. Wenige Grossformate bilden die Ausnahme. Persönlich und delikat sind Farbigkeit und malerische Qualität. Bildaufbau und Kompostion sind klar gegliedert und oft auf die Bildbegrenzung bezogen. Die Motive entnimmt der Maler seiner unmittelbaren Umgebung, sie zeigen seine Lebenswelt: die früh verstorbene Tochter Gabriella, die Ehefrau Carmela, die Eltern und Verwandten, aber auch Krüge, Blumen, Pilze und und die Landschaft des Ortasees. Das Haus aus dem siebzehnten Jahrhundert in Vacciago oberhalb des Sacro Monte ist Familiensitz und Arbeitsort. (Nach seinem Tod wird dieses zum Museo Collezione Calderara di Arte Contemporanea.)
Ein gemeinsamer Nenner, Resultat einer konzentrierten und ambitionierten malerischen Tätigkeit, ist mehr und mehr die Fusion von Licht und Farbe – Farbe als Licht, Licht als Farbe. 1959 erfolgt dann zwanglos und folgerichtig der stufenweise Uebergang zur Abstraktion. Das Sehen wird zum Wissen und das Wissen führt zu schlüssigen Bildformen, immer gesättigt vom Reichtum der Wahrnehmung. Die besagte Landschaft des Ortasees bietet sich dabei an als Halt und prägende Gegebenheit, als Koordinate neuer Bildfindungen und Erfindungen.
Die Bildtafel, eine glückliche Reminiszenz an die Bildträger der italienischen Malerei des Quattrocento, verselbstständigt sich. Anregungen durch Werke von Mondrian und Albers klären und stimulieren eigene Erkentnisse und Einsichten.
Die Tafel, zumeist quadratisch und bescheiden dimensioniert, ist nun das vorgegebene Territorium. Sie weist eine Materialstärke von zunächst etwa 10 mm, später etwa 3 mm auf. Die Bemalung wird auf den Seitenflächen weitergeführt. Alle formalen Setzungen beziehen sich auf das gesamte Feld, welches eine imaginierte Ausdehnung impliziert und herausfordert. Die interne geometrische Ordnung schafft Verhältnisse, die auf eine externe Ordnung verweisen. Die Differnzierung der Farbtöne und die Hell/Dunkel Abschattung wird durch einen Farbauftrag in vielen transparenten Schichten erreicht. Eine subtile Lichthaltigkeit und Geschlossenheit der Oberfläche betont die Einheit und Kohärenz von Bildobjekt und Bildmittel.
Ende der sechziger Jahre, am Anfang unserer Galerietätigkeit begegneten wir dem Maestro Calderara und durften die Obhut seiner Freundschaft in Anspruch nehmen. 1969 zeigten wir erstmals seine Werke. Mehrere weitere Ausstellungen folgten und die jetzige Schau ist Erinnerung und Hommage an einen besonderen Menschen und grossen Maler.
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INSIGHT #3 beleuchtet das zeichnerische Werk von Fred Sandback anhand von drei Beispielen aus den Jahren 1974 und 1982.
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16. November 2008 – 2033